Die neue VPOD-Broschüre zum Musterarbeitsvertrag wirft Fragen auf, so z.B. zu den Löhnen, zum Praktikum oder zum Zeitaufwand für die Hintergrundarbeiten. Wer soll das alles bezahlen? Wie stellt sich der VPOD das eigentlich vor?
Der Schweizerische Verband des Personals öffentlicher Dienste VPOD engagiert sich schon seit längerem auch im Bereich der familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung. Zu den neusten Hilfestellungen zählt seit Herbst 2015 eine Broschüre über einen Musterarbeitsvertrag für Fachleute der Kinderbetreuung. Diese Broschüre betrachte ich mit gemischten Gefühlen. Einerseits finde ich sie interessant und aufschlussreich. Anderseits ist sie mir stellenweise zu undeutlich und zu ungenau. Im Folgenden möchte ich einige Punkte herausgreifen.
Abeitsrechtliche Belange
Der Musterarbeitsvertrag enthält viele hilfreiche Kommentare zu arbeitsrechtlichen Belangen. Er formuliert sinnvolle Empfehlungen für die Regelung der Zusammenarbeit (z.B. zur Probezeit, zu Kündigungsfristen, zur Arbeitszeit, zum Ferienanspruch usw.). Für die Prüfung und Erstellung von Arbeitsverträgen ist das sehr nützlich. Gestützt auf diese Empfehlungen und Kommentare können Arbeitgeber/Innen ihre bisherigen Vertragsvorlagen überprüfen und weiterentwickeln. Und Arbeitnehmer/Innen erhalten eine Grundlage, um Arbeitsverträge aus ihrer Sicht zu beurteilen.
Kinderfreie Zeit
Als sehr fortschrittlich erachte ich den Passus über die kinderfreie Zeit für Elterngespräche, Vorbereitung und Nachbereitung. Wortwörtlich heisst es in der Broschüre:
“In der Arbeitszeit sind kinderfreie Zeiten zur Vor- und Nachbereitung, für Elterngespräche, Vernetzung etc. von ____ (10 -20% der Gesamtarbeitszeit / X Stunden pro Woche) vorgesehen.“
In der Tat: Der Zeitaufwand für Aufgaben ausserhalb der unmittelbaren Kinderbetreuung ist in Kinderkrippen und Kinderhorten schnell einmal recht hoch. Das gilt insbesondere für Personen mit einer Führungsverantwortung, also z.B. für Gruppenleiter/Innen. In meiner eigenen Beratungstätigkeit stelle ich immer wieder fest, dass Fachleute oft viel zu wenig Zeit für Kommunikation, Vernetzung und Planungsaufgaben aufbringen können. Das ist aber noch längst nicht alles, denn zu ihrem Pflichtenheft gehören auch Aufgaben der Reflexion, der Führung und der Administration. Und mitunter zählen die Beobachtung und Dokumentation der Lernprozesse der Kinder zu den Anforderungen an die Fachleute.
Viele wichtige Hintergrundarbeiten
Aufgrund meiner Erfahrung schätze ich die sogenannt mittelbaren Aufgaben (Reflexion, Führung, Planung usw.) ebenfalls auf ca. ein Fünftel eines Vollpensums ein. Angesichts der Menge und der Bedeutung dieser Hintergrundarbeiten wünschte ich mir vom VPOD allerdings eine detailliertere Aufzählung. Die Reduktion auf Elterngespräche, Vor- und Nachbereitung sowie Vernetzung greift nach meinem Dafürhalten zu kurz und ist zu wenig präzis.
Übrigens: Was die Hintergrundarbeiten betrifft, gibt es eine interessante deutsche Studie zu diesem Thema. Siehe hierzu meinen Blogbeitrag zur Betreuungsrelation.
Lohnfragen und Lohnerhöhungen
Wo es um Arbeitsverträge geht, sind auch Lohnfragen betroffen. Im Anhang der Broschüre sind deshalb drei Lohnbeispiele (Kanton Bern, Stadt Zürich und Kanton Genf) aufgeführt. Zudem liegen sie als eigenes Dokument über Lohninformationen vor. Diese Beispiele will der VPOD als allgemeine Orientierungshilfe verstanden wissen. Sie belegen Einstiegslöhne in Kinderkrippen und verschiedene Anstellungsmodalitäten (Stand 2015).
Angesichts der Lohnunterschiede zwischen Kanton Bern einerseits (Fr. 4‘413.-) und Stadt Zürich (Fr. 5‘168.-) und Kanton Genf (5‘054.-) anderseits ist mir nicht ganz klar, was der VPOD mit diesen Informationen bezweckt. Zudem erschweren auch die Unterschiede bezüglich Ferienanspruch (5 Wo / 4 Wo / 7 Wo) und Wochenarbeitszeit (42 Std. / 41 Std. / 40 Std.) eine klare Orientierung. Will der VPOD mit dieser Gegenüberstellung lediglich den Lohnrahmen in den einzelnen Regionen aufzeigen? Oder verfolgt er eine allgemeine Lohnerhöhungsstrategie?
Ich vermute, dass der VPOD Lohnerhöhungen in der Kinderbetreuung anstrebt. Denn gerade in Kinderkrippen ist das Lohnniveau in einigen Regionen noch eher niedrig. Zudem frage ich mich, weshalb der VPOD gerade das Beispiel der von der Stadt Zürich selber geführten Kinderkrippen wählt, um ein Lohnniveau zu markieren. Denn nur sehr wenige der privat geführten Kitas können mit einem solchen Level mithalten. Und was das Genfer Lohnbeispiel angeht, handelt es sich hier um Löhne für Personen mit einer tertiären Ausbildung, also nicht für Fachfrauen / Fachmänner Betreuung.
Ohne Zweifel ist es ein hehres Unterfangen, auf höhere Löhne im Kinderbetreuungsbereich hinzuwirken. Lohnerhöhungen gehören zu den wichtigsten Massnahmen, um die anspruchsvolle Arbeit der Fachleute angemessen zu würdigen. Doch haben sie eine direkte Auswirkung auf die Kosten der Angebote.
Abschaffung der Praktika
Der VPOD nutzt die Gelegenheit, in seiner neuen Broschüre auch das berufspolitisch sensible Thema des Praktikums anzusprechen. Er ist der Auffassung, dass die in vielen Kinderkrippen üblichen Praktikas abgeschafft, ja unterbunden werden müssen. Er fordert, dass Betriebsbewilligungen nur noch erteilt werden dürfen, wenn Kinderkrippen auf diese Form der unterbezahlten Arbeit verzichten und für pädagogische Aufgaben ausschliesslich ausgebildete Personen einsetzen. Wie auch immer man zu diesem in der Berufswelt sehr kontrovers diskutierten Thema steht, sind die Kostenfolgen einer solchen Forderung beträchtlich. Wie stellt sich der VPOD eine solche Entwicklung vor?
Steigerung der pädagogischen Qualität
Kostenfolgen ergeben sich aber auch durch die Sicherstellung der oben erwähnten (mittelbaren) Hintergrundarbeiten (Reflexion, Führung, Kommunikation, Planung usw.). Der VPOD argumentiert zu Recht, dass dies die pädagogische Qualität positiv beeinflusst. Es lohnt sich also, die hierzu nötigen personellen Ressourcen zu gewährleisten. Selbstverständlich ist das aber nicht gratis zu haben. Denn während der Zeit, in der die Hintergrundarbeiten erledigt werden, müssen andere Fachpersonen zu den Kindern schauen. Das führt zu nötigen personellen Überlappungen, die sich jedoch viele Kinderkrippen und Kinderhorte nicht leisten können.
Kostenfolgen
Somit ergeben sich also Kostenfolgen zuhauf. Wie bitte sollen diese Kosten getragen und gedeckt werden? Wie ist das zu bewerkstelligen? Die Budgets der betroffenen Institutionen bieten keine solche Spielräume. Obwohl der VPOD erwähnt, dass die meisten Betreuungsinstitutionen unterfinanziert sind, bleibt er eine Antwort darüber schuldig, wie denn die Finanzierung angesichts solcher Kostenfolgen erfolgen soll. Der einzige Hinweis, den er gibt, bezieht sich auf eine nötige Erhöhung der Subventionen durch die öffentliche Hand.
Alle diese Forderungen sind ja schön, wichtig und gut. Aber ich frage mich, wie realistisch sie sind. Wie realistisch ist eine stärkere Beteiligung des Gemeinwesens? Ich zweifle daran, dass diesbezüglich Wunder geschehen. Als Berater habe ich genügend oft Gelegenheit gehabt, Budgets und Finanzplanungen für Kitas und Kinderhorte zu erstellen. Deshalb ist mir völlig klar, dass der einzige Spielraum in der Erhöhung der Preise liegt. Das würde aber bedeuten, die Lohnerhöhungen, die Ersetzung von Praktikant/Innen mit ausgebildetem Personal und die Überlappung von Personal zur Erfüllung der mittelbaren Hintergrundarbeiten auf dem Buckel der Eltern auszutragen.
Themen für die Sozialpolitik
Dadurch ergibt sich ein schwer lösbares Dilemma: Einerseits wünscht man sich Entwicklungen und Verbesserungen. Anderseits sind die Preise für einen Krippen- und Hortplatz bereits jetzt sehr hoch. Hebt man sie weiter an und verteuert das Angebot, wird sich die Situation in einem wachsenden und dynamischen Markt verschärfen. Wer kann sich das leisten? Wie können Kinderkrippen und Kinderhorte in diesem Umfeld noch konkurrenz- und marktfähig bleiben? Ganz so einfach scheint das alles nicht zu sein! Hier sind nicht nur berufspolitische, sondern auch gesellschafts- und sozialpolitische Initiativen gefragt.
In diesem Beitrag erwähnte Quellen:
Broschüre Musterarbeitsvertrag VPOD
Lohninformationen VPOD für Kitas
Siehe auch den folgenden Beitrag im Päda.blog! und die Linkliste zu Löhnen im Sozialbereich: