Richtlinien zur Kinderbetreuung

Im Juni 2016 publizierte KIBESUISSE , der Verband Kinderbetreuung Schweiz, die neuen Richtlinien zur Betreuung von Kindern in Kindertagesstätten. Diese Empfehlungen lösten die Betriebsrichtlinien des ehemaligen Verbands Kindertagesstätten der Schweiz (KiTaS) von 2008 ab.

Empfehlungen auf der Ebene der Strukturqualität

Die neuen Richtlinien zur Kinderbetreuung stellen Empfehlungen dar. Verglichen mit den früheren Richtlinien sollen sie den Kitas mehr Spielraum für eine Differenzierung ihres Angebots geben. Sie definieren Standards auf der Ebene von Strukturqualität und umfassen zum Beispiel Aussagen zur Berechnung der maximalen Kinderzahl, zum Personal, zur unmittelbaren und mittelbaren pädagogischen Arbeit, zum Stellenplan, zum Betriebskonzept und zu den Räumen.

Mehr Flexibilität für Trägerschaften

Nach einer ersten Durchsicht der neuen Richtlinien lässt sich feststellen: Sie kommen sorgfältig strukturiert, übersichtlich, gehaltvoll und in gutem Ton daher. Nicht zu kurz und nicht zu lang, sind sie auch den eiligen Leser/Innen zumutbar. In einem sinnvollen Mix kombinieren sie Grundlageninformationen mit griffigen Aussagen über die wünschbaren Rahmenbedingungen einer Kita. In ihrem Anspruch nach einer ganzheitlicheren Betrachtung von Kinderkrippen und nach mehr Flexibilität für die Trägerschaften wirken sie sympathisch und den heutigen Erfordernissen angemessen. KIBESUISSE distanziert sich ausdrücklich von starren Vorgaben, um in Zukunft auch Ideen zu ermöglichen, die pädagogisch begründet sind.

Diverse fortschrittliche Ansätze

Einige Stellen der Richtlinien betrachte ich als fortschrittlich. So etwa den Umstand, dass nicht mehr von Gruppen und typischen Gruppengrössen, sondern von der möglichen Anzahl und dem Alter der Kinder ausgegangen wird. Bezüglich Alter verabschiedet sich KIBESUISSE vom bisher bekannten Babyfaktor (1.5) und führt stattdessen weitere Alterskategorien ein. Auf diese Weise lässt sich die Relation zwischen Kindern und Betreuungspersonen genauer und differenzierter berechnen. Zudem sind je nach Räumlichkeiten auch grössere Gruppen als bisher möglich. Dabei sieht KIBESUISSE von einer Quantifizierung von Babyplätzen ab. Durch den Verzicht, typische Gruppengrössen zu benennen, will KIBESUISSE bewusst neue Konstellationen ermöglichen.

Begrüssenswert ist die Aussage, dass eine Überschreitung der Zahl der betreuten Kinder um 10% möglich sein soll, sofern im Wochendurchschnitt die maximal bewilligte Anzahl der Kinder eingehalten wird. Dies gestattet, unterbelegte Tage an besser nachgefragten Tagen mit einer Überbelegung zu kompensieren. Ebenfalls sollen Überbelegungen zur Mittagszeit zulässig sein, wenn die erforderliche Betreuungsrelation gewährleistet wird.

Anklang findet bei mir die Haltung, dass bei der Berechnung der maximalen Kinderzahl neben den Haupträumen auch die Nebenräume (z.B. Korridore) zur Berücksichtigung kommen sollen, sofern sie von den Kindern genutzt werden können. Selbst Räume, die für eine permanente Nutzung ungeeignet sind (wie z.B. ein Malatelier im Keller oder ein Badezimmer mit einer Wasserwerkstatt), sollen teilweise in die Berechnung des Maximums einfliessen.

Gut gefällt mir die rechnerische Berücksichtigung von mittelbaren pädagogischen Arbeiten im Stellenplan. Zu diesen zählen z.B. Sitzungen, Elterngespräche, Vor- und Nachbereitungen, Planungsaufgaben, Dokumentationen, Qualitätsmanagement und die Ausbildung von Lernenden. KIBESUISSE empfiehlt einen Zuschlag von mindestens 10% der Arbeitszeit des pädagogisch ausgebildeten Personals.

Als sinnvoll empfinde ich, dass zwischen pädagogischem Fachpersonal einerseits und Mitarbeitenden in Ausbildung, Assistenzpersonal sowie Jugendlichen und jungen Erwachsenen bis 22 Jahre differenziert wird. Beim Personal in Ausbildung ist explizit nicht nur von der beruflichen Grundbildung «FaBe», sondern auch von Studierenden «dipl. Kindererzieher/Innen HF» die Rede. Damit wird KIBESUISSE der neuen Ausbildung gerecht. Bei den Erwachsenen bis 22 Jahre sind unter anderem Personen gemeint, die ein Vorpraktikum absolvieren. Zwar empfiehlt der Verband, das konventionelle Praktikum durch anderes Betreuungspersonal zu ersetzen. Doch lenkt er ein, dass wenn trotzdem Praktikas angeboten werden, dies unter fachlicher Anleitung und im Rahmen eines Berufsvorbereitungsjahres erfolgen soll.

Toll ist, dass KIBESUISSE seinen Mitgliedern neu ein Tool zur Stellenplanberechnung zur Verfügung stellt. Damit lässt sich auf der Grundlage der eigenen Betriebsdaten auf einfache Weise feststellen, welche Ressourcen erforderlich und ob die Vorgaben der Richtlinien erfüllt sind.

Abstriche beim Raumbedarf pro Kind

Neben den erfreulichen und fortschrittlichen Ansätzen der neuen Richtlinien gibt es aber auch zwei Punkte, die mir weniger gut gefallen. Ein erster Punkt betrifft die Quadratmeter pro Kind, die bei der Berechnung der maximalen Kinderzahl eine Rolle spielen. Die erforderliche Fläche wird auf 5 m² festgelegt. Im Kanton Zürich hingegen liegt die heutige Sollvorgabe bei 5,5 und im Kanton Bern sogar bei 6 m² pro Kind. Die Umsetzung der KIBESUISSE-Richtlinien würde also zu einer Erhöhung der Kinderzahl führen, was aus betriebswirtschaftlicher Perspektive begrüssenswert, aus pädagogischer Sicht aber etwas schade ist.

Der zweite Punkt tangiert die oben erwähnte (sinnvolle) Stossrichtung, die mittelbare pädagogische Arbeit beim dafür qualifizierten Personal mit 10% ihrer Arbeitszeit zu dotieren. Wie Studien aus dem Ausland zeigen, sind 10% jedoch zu wenig. Deshalb hätte man sich hier von KIBESUISSE eine klare Ansage für einen höheren Prozentwert gewünscht. Allerdings ist einzuwenden, dass KIBESUISSE ja darauf hinweist, dass der effektive Prozentsatz von jeder Einrichtung selbst bestimmt werden muss.

Anstösse für ein Umdenken

KIBESUISSE ist sich bewusst, dass für die Erteilung von Betriebsbewilligungen für Kinderkrippen die jeweiligen kantonalen und kommunalen Vorgaben verbindlich sind. Der Verband fordert die Bewilligungsinstanzen aber auf, sich künftig an seinen Empfehlungen zu orientieren. In der Tat wäre eine Lockerung der bisherigen Verbindlichkeiten in einigen Kantonen sehr wünschenswert. So etwa, wenn es um die Berechnung der maximalen Anzahl Plätze und des Stellenplans oder um die Festlegung von Gruppengrössen geht. Gerade was Letzteres angeht, trifft man immer wieder Fälle an, wo die Krippenaufsicht eine Gruppe auf zehn oder elf Plätze beschränkt, obwohl die Räumlichkeiten Potenziale bieten würden. Dies ist heute ganz einfach nicht mehr zeitgemäss und bedarf dringend der Flexibilisierung.

Alles in allem ist den neuen Richtlinien eine breite Diskussion im Berufsfeld zu wünschen. Sie vermögen Impulse und Denkanstösse zu geben. Sie haben das Potenzial, zu einem gewissen Umdenken bei Bewilligungsinstanzen, Trägerschaften und Fachleuten anzuregen.

 

Quellen:

Richtlinien von KIBESUISSE
FAQ zu den Richtlinien (sehr hilfreich)

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