Im Umfeld, in dem ich beruflich tätig bin, wird mir immer wieder mal die folgende Frage gestellt: Was heisst eigentlich «pädagogisch» arbeiten? Zu diesem Umfeld gehören das pädagogische und soziale Berufsfeld, wobei die familienergänzende und schulergänzende Kinderbetreuung sowie die Berufsbildung Schwerpunkte darstellen.
Ich vertrete seit vielen Jahren die Überzeugung, dass in der Kinderbetreuung – also z.B. in Kinderkrippen, Kinderhorten, Mittagstischen usw. – pädagogische Arbeit geleistet wird und geleistet werden muss. Ich sehe diese Institutionen als Orte mit einem pädagogischen Auftrag. Gleichermassen bin ich der Auffassung, dass die Fachleute, welche die Kinder betreuen, ihre Arbeit und Aufgaben aus einem pädagogischen Selbstverständnis heraus verstehen und verrichten sollten.
Aus diesem Grund möchte ich im Folgenden aufzeigen, was ich unter «pädagogisch arbeiten» verstehe und welche Dimensionen bzw. Aspekte dies umfasst.
Pädagogik
Unter dem Wort «Pädagogik» wird die systematische, wissenschaftliche Bemühung verstanden, die Bedingungen der Erziehung und Bildung, des Lehrens und Lernens zu analysieren, zu reflektieren und kritisch einzuordnen.
Pädagogische Praxis und pädagogisches Arbeiten bezieht sich in diesem Sinne ebenfalls auf Prozesse der Erziehung und Bildung sowie des Lehrens und Lernens.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Pädagogik ist die Theoriebildung, die zu Erkenntnissen über pädagogische Fragen und Probleme führen soll. Darüber hinaus gilt ihr zentrales Interesse der reflektierten, differenzierten und umfassenden Verbesserung und Bewältigung pädagogischer Praxis.
Sprachgeschichtlicher Zusammenhang
Das Wort «Pädagogik» wurzelt in den griechischen Worten «pais» (=Kind, Jugendlicher) und «ago» (= ich führe, leite, ziehe). Als «paidagogos» wurde ursprünglich der Diener bezeichnet, der das Kind bei seinen Gängen zwischen dem Elternhaus und der Schule zu begleiten hatte. Später erhielt das Wort die Bedeutung «Erzieher». Heutzutage ist mit dem Wort «Pädagoge» bzw. «Pädagogin» die beruflich tätige Erzieherperson gemeint.
Pädagogische Grundbegriffe
In der modernen familien- und schulergänzenden Kinderbetreuung spielt die Trias von Betreuung, Erziehung und Bildung eine zunehmend wichtige Rolle.
Betreuung
Betreuung bezeichnet die fürsorgliche Begleitung der Kinder im Alltag, die Wahrnehmung ihrer Grundbedürfnisse und die Beachtung des Kindeswohls. Sie umfasst auch Aspekte der Pflege, die insbesondere in der Betreuung der jüngeren Kinder wichtig sind.
Erziehung
Erziehung stellt die Vermittlung von gesellschaftlichen Werten und Normen dar. Dies beinhaltet die absichtsvolle Einflussnahme auf Kinder durch die Betreuungspersonen, so z.B. im Bereich des Sozialverhaltens oder der Umgangsformen. Erziehung bedeutet deshalb, Werte zu vermitteln, z.B. Toleranz, Achtsamkeit, Anstand und Ehrlichkeit.
Erziehung umfasst eine hierarchische Situation und ein Machtgefälle. Obwohl Interaktionen in beide Richtungen möglich sind, ist die erziehende Person immer die Mächtigere.
Allerdings besitzen die «Zöglinge» bestimmte – von Fall zu Fall wechselnde – Freiheitsgrade, um ihrerseits auf die erziehende Person Einfluss auszuüben. Im Extremfall entzieht sich die zu erziehende Person der Erziehung und verweigert sie.
Bildung
Bildung gibt es in unterschiedlichen Facetten als Persönlichkeitsbildung, Menschenbildung, Schulbildung, Erwachsenenbildung usw.
Bildung hat zwei Seiten: Einerseits erfolgt sie durch die Vermittlung von kulturellem Wissen seitens der Betreuungspersonen. In diesem Sinne ist Bildung eine von aussen erfolgende Anregung aller Kräfte des Menschen. Anderseits erfolgt Bildung wesentlich auch als Selbstbildung, denn der Mensch verwirklicht und entwickelt sich zu einem grossen Teil selbst. Diese Selbstentfaltung erfolgt gestützt auf die aktive Auseinandersetzung mit der Welt und in Verständigung mit anderen Menschen.
Unterschied zwischen Erziehung und Bildung
Bildung vermittelt vor allem Wissen, Kulturwissen, Kulturtechniken (man bildet ein bestimmtes Wissen. Nicht: Man erzieht ein bestimmtes Wissen).
Erziehung vermittelt ein bestimmtes Verhalten (man ist zu einem bestimmten Verhalten erzogen worden).
Erziehung bedeutet «Sozialmachung».
Lernen
Zu den pädagogischen Grundtätigkeiten zählt neben dem Betreuen, Erziehen und Bilden auch die Unterstützung von Lernprozessen.
Im familien- und schulergänzenden Kontext kommt dem Lernen in seinen spielerischen, sensomotorischen, entdeckenden und selbstgesteuerten Aspekten Bedeutung zu. Das begriffliche und kognitive Lernen steht zwar nicht im Vordergrund, spielen aber ebenfalls eine Rolle.
Lernen wird dabei als eine laufende Selbstoptimierung und als eine dauerhafte Veränderung des Verhaltens verstanden. Es beschränkt sich nicht nur auf die Aufnahme und die Verarbeitung von Wissen, sondern umfasst auch die Aneignung von Fähigkeiten, Fertigkeiten, Haltungen, Einstellungen, Gefühlen usw.
Pädagogisches Arbeiten zielt darauf hin, Lernen zu ermöglichen und zu unterstützen. Lernen ist dabei allerdings etwas, das lediglich in seinen Ergebnissen sichtbar wird. Der Lernprozess selber ist nur in kleinen Ausschnitten beobachtbar.
Lernen beschränkt sich nicht auf Impulse von aussen. Vielmehr erfolgt es zu einem grossen Teil auch selbstgesteuert und selbstorganisiert. Dies wird mit dem Begriff der Selbstbildung des Kindes bezeichnet. Denn Informationen werden durch die Kinder verarbeitet, umstrukturiert, neu angeordnet und in persönlicher Form integriert.
Lernbereiche
Mögliche Lernbereiche, die in der familien- und schulergänzenden Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern eine Rolle spielen, sind:
- Lebensraum und soziale Umwelt
- Werterziehung
- Körper, Bewegung und Gesundheit
- Sprache, Schrift, Literacy
- Welt der Zahlen, Grössen, Formen
- Bildnerisches Gestalten, Musik, Werkstatt
- Digitale Medien
- Bauen, Konstruieren und Technik
- Natur und naturwissenschaftliche Phänomene
- usw.